Für den Umbau eines mehrstöckigen Wohnhauses mit 3 Wohnungen gibt ein Architekt eine Asbest-Diagnose in Auftrag. Der Bauschadstoff-Spezialist nimmt insgesamt knapp 50 Proben. Resultat: Die Fliesenkleber in allen Badezimmern und Küchen enthalten Asbest.
Der Architekt wurde aber misstrauisch: Auch im Fliesenkleber einer Küche, die nach 1990 umgebaut wurde, soll es Asbest haben? Er gibt daher eine Gegenexpertise in Auftrag. Resultat: Mit zwei Ausnahmen sind alle Fliesenkleber asbestfrei. Um sicher zu sein, zieht der Architekt nun noch einen dritten Spezialisten bei, der nochmals 10 Proben nimmt. Auch hier: die grosse Mehrheit der Fliesenkleber sind asbestfrei.
Wie ist das möglich? Ein Laborfehler? Oder hat es unter dem neuen Fliesenkleber noch alten Fliesenkleber? Oder ein bewusstes Austauschen von Proben durch den ersten Spezialisten?
Der Architekt hat uns Einsicht in alle Unterlagen gewährt und wir konnten mit den involvierten Firmen und Personen sprechen.
Kein Laborfehler
Alle Labore haben die genommenen Proben nochmals untersucht und die Resultate bestätigt. Die Laborleiterin des ersten Labors bestätigt ausserdem, dass eine solche Systematik nicht einfach von Laborfehler kommen kann. Dass einzelne Proben falsch beurteilt werden, kann vorkommen. Aber gleich eine ganze Reihe? Das ist nicht möglich.
Auch bestätigen die Spezialisten der zweiten und dritten Diagnose, dass es keine verdeckten Schichten von Fliesenkleber hat, die die Differenzen erklären könnten
Proben bewusst vertauscht?
Somit bleibt die Frage: Hat der Fachmann der ersten Expertise die Proben bewusst ausgetauscht?
Hier muss man ein wichtiges Detail hinzufügen: Der Fachmann, der die erste Expertise ausgeführt hat, arbeitet für eine Firma, die auch Asbest-Sanierungen ausführt. Je mehr Asbest er also findet, desto mehr Arbeit bekommt sein Arbeitgeber.
Auf Anfrage bestreitet die betroffene Firma natürlich, Proben ausgetauscht zu haben. Im Rahmen der Recherche konnten wir aber mit einer ehemaligen Mitarbeiterin der besagten Firma sprechen. Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, hat sie uns bestätigt, dass ihr früherer Arbeitgeber wohl regelmässig Proben von untersuchten Gebäuden mit asbesthaltigen Proben von anderen Baustellen austauscht. Das Vorgehen hat also System.
Diese Aussagen sind kein Beweis und es gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn die Sache verdächtig ist.
Was tun in einem solchen Fall?
In Wirklichkeit hat sich die Geschichte etwas anders und komplizierter abgespielt. Wir haben sie aber angepasst, damit man weder auf die involvierten Firmen noch die Personen schliessen kann. Im Grundsatz geht es darum: Ein Fachspezialist ist in einem Interessenskonflikt: Um mehr Aufträge für Asbest-Sanierungen zu generieren, manipuliert seine Firma die Resultate der Gutachten.
Was kann man in einem solchen Fall machen?
Im konkreten Fall hat sich die Bauherrin dazu entschieden, die Sache nicht rechtlich auszufechten. Da der Fall noch vor der Sanierung entdeckt wurde, war der finanzielle Schaden gering. Der Nutzen eines Gerichtsentscheids im Vergleich zum erwarteten Prozessaufwand wäre zu gering gewesen, zumal keine eigentliche Beweise einer bewussten Manipulation vorlagen.
Wir haben auch die Suva auf den Fall angesprochen. In Fällen, in denen ein Diagnostiker viel zu wenig Proben genommen hat, und entsprechend Arbeitnehmer exponiert waren, ist sie in der Vergangenheit schon rechtlich gegen Bauschadstoff-Diagnostiker vorgegangen. Im vorliegenden Fall wurde aber niemand exponiert. Somit hat die Suva hier keine rechtliche Grundlage, um irgendwelche Massnahmen zu ergreifen.
Auch die Fachverbände haben keine Handhabe: Die besagte Firma ist nicht Mitglied und auch nicht auf der Liste der Asbest-Berater des Forums Asbest Schweiz (FACH).
Somit bleibt der Fall für die Sanierungsfirma ohne Konsequenzen.
Sollen Sanierungsfirmen keine Asbest-Diagnosen machen dürfen?
In Fachkreisen wird der Wunsch nach einer klaren Trennung von Diagnostik und Sanierung immer wieder geäussert. Damit könnten solche Interessenskonflikte verhindert werden.
Es gibt tatsächlich mehrere durchaus seriöse Firmen, die sowohl Sanierungen als auch Diagnostik anbieten. Auf Grund der Erfahrung aus der Sanierung und dem Rückbau verfügen viele Asbest-Sanierer über ein besseres Verständnis von Gebäuden und versteckten Schadstoffvorkommen als mancher Bauschadstoff-Diagnostiker mit einer akademischen Ausbildung. Solange diese Firmen bezüglich ihrer Doppelrolle transparent sind, kann man ein durchaus objektives Vorgehen erwarten.
Ein Verbot der Doppelrolle dürfte eine andere Tendenz stärken: Firmen, die bisher beides angeboten haben, lagern ihre Gutachtertätigkeit vermehrt an auf dem Papier eigenständige Firma aus, bei welchen aber im Hintergrund immer noch der Asbest-Sanierer die Fäden zieht.
Empfehlungen
Was können wir also auf Grund dieser Geschichte empfehlen?
- Bauherrn: Bei grösseren Projekten kann eine Zweitmeinung durchaus nützlich sein. Da die Analytik von Verputzen mit geringen Asbestgehalten anspruchsvoll ist, empfehlen manche Diagnostiker selbst bei kleineren Projekten Materialien nochmals zu beproben und analysieren zu lassen, um die Resultate zu bestätigen.
- Sanierungsfirmen: Wenn Sie sowohl Asbestsanierungen als auch Schadstoff-Untersuchungen anbieten, sollten Sie dem Kunden gegenüber transparent sein. Proben austauschen? Hören Sie auf damit! Das ist rechtlich unzulässig und moralisch verwerflich. Wenn Sie zum Zahnarzt gehen, wollen Sie ja auch nicht, dass er ihnen mehr Zähne zieht als wirklich notwendig.
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wenn Sie bemerken, dass Ihr Arbeitgeber oder Kollegen Proben austauschen, suchen Sie sich eine neue Stelle. Solche Betrügereien sprechen sich in der Branche herum. Das schädigt auch Ihren eigenen Ruf. Verbauen Sie sich nicht Ihre berufliche Zukunft, indem Sie zu lange bei einer solchen Firma bleiben. Die Nachfrage nach guten Bauschadstoff-Spezialistinnen und -Spezialisten ist gross.