Der Preis, aber auch die Qualität einer Schadstoff-Untersuchung hängt zu einem grossen Teil davon ab, wie viele Proben der Spezialist nimmt. Bestrebungen, hier Vorgaben zu machen, gibt es. Vergleicht man aber verschiedene dieser Normen und Empfehlungen merkt man, dass die Angaben zum Teil extrem auseinander gehen. Dies weisst darauf hin, dass sich die Experten alles andere als einig sind. Wie kommt man aber zu einem besseren Ansatz?
Letztes Jahr war ich in einem Projekt involviert: Büroräume mit einer Gesamtfläche von über 200’000 m2 mussten ungersucht werden mussten. Der Auftraggeber ging in einer ersten Schätzung von einigen hundert Materialproben aus. Letzten Endes waren es aber weit über tausend. Berechtigterweise stellte der Auftraggeber die Frage, ob denn so viele Proben wirklich notwendig seien. Der daraufhin durchgeführte Vergleich hat gezeigt, dass Normen zu diesem Thema auf internationaler Ebene sehr weit auseinander gehen.
Untenstehende Tabelle enthält einen Vergleich der Anzahl Proben für einige spezifische Materialien:
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VABS
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STIPI
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EPA
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AFNOR
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HSG264
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VDI
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Bodenbelag
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1 Raum, 10 m2
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1
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3
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3
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1
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2
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-
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10 Räume à 10 m2, baugleich
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8
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3
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5
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1
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-
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-
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Fliesenkleber
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1 Raum, 10 m2
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1
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1
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2
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1
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2
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2
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10 Räume à 10 m2, baugleich
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8
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3
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-
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-
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-
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6
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Rohrisolation
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20 m
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1
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-
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-
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1
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7
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-
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200 m (gleicher Typ/ Durchmesser)
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-
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-
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-
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1
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67
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-
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Akustik-Platten
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10 Raum à 25 m2, mit 100 Platten
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25
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1
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3
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1
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-
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-
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10 Räume à 25 m2, mit je 100 Platten
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30
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7
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-
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1
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-
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-
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Schweiz: ASCA
Die Vereinigung Asbestberater Schweiz VABS verwendet ein stochastisches Modell: Grundsätzlich wird hier von der “homogenen Einheit” ausgegangen. Im Fall von Akustik-Platten wird etwa jede Platte als eine homogene Einheit angesehen. Ziel ist es, so viele Proben zu nehmen, dass man mit 75% Sicherheit Asbest findet, auch wenn nur 5% der "homogenen Einheiten" Asbest enthalten.
Diese Methode hat den Vorteil, dass sie nicht einfach aus der Luft gegriffene (respektive auf Expertenwissen/Gutdünken) Zahlen angibt, sondern dass eine stochastische Überlegung dahinter steckt. Was nun aber als eine “homogene Einheit” angeschaut werden soll und was nicht, wie auch die Hypothese, wie viele der Platten nun Asbest enthalten, bleibt letzten Endes dem Diagnostiker überlassen. Der Ansatz erlaubt also weiterhin sehr viel Spielraum, führt aber insgesamt zu einer sehr hohen Anzahl Proben.
Genf: STIPI
Das Pflichtenheft der Vereinigung Asbestberater Schweiz baut seinerseits auf einem heute nicht mehr gültigen Pflichtenheft des Kantons Genf (früher STIPI genannt, heute SABRA). Dieses Dokument ist nicht mehr gültig. Es wird hier aber erwähnt, weil es wohl am ehesten der Praxis in der Deutschschweiz entspricht (in der Romandie orientiert man sich in erster Linie an den Vorgaben der VABS).
USA: EPA
Die Vorgaben für Asbest-Untersuchungen in den USA findet man in einem 1985 publizierten Dokument (EPA 585 / 5-85 030 a, auch “pink book” genannt). Dieses Dokument betrifft nur schwachgebundene Materialien und besagt dass normalerweise mindestens 9 Proben genommen müssen, dass aber gerade bei kleineren Räumen folgende Anzahl Proben genommen werden können:
- 3 Proben für Flächen unter 1000 ft2 (92m2)
- 5 Proben für Flächen zwischen 1000 ft2 (92m2) und 5000 ft2 (464m2)
- 7 Proben für Flächen mit mehr als 5000 ft2 (464m2)
Für festgebundene Materialien spricht dieses Dokument von “Samples” in der Mehrzahl, weshalb in den USA davon ausgegangen wird, dass jeweils mindestens 2 Proben genommen werden müssen.
Fr ankreich: Afnor
In Frankreich ist das Vorgehen für Asbest-Expertisen durch die AFNOR NF X 46-020-Norm geregelt. Diese Norm besagt, dass der Diagnostiker selber entscheiden muss, wie viele Proben notwendig sind, dass die Angaben aber - ausser wenn dies begründet ist - den in der Beilage der Norm gegebenen Werten entsprechen muss.
Für Fliesenkleber wie auch bei Akustikplatten besagt die Norm, dass man pro Nutzung 1 Probe pro Anwendung nehmen muss. Bei 10 Badezimmern müssten also (im Prinzip) nur 1 Probe genommen werden.
England: HSG 264
Die englische Norm HSG 264 gibt explizite Angaben für einige wenige Materialien. Grundsätzlich wird auch hier gesagt, dass pro homogene Einheit 1 Probe genommen werden muss. Gerade bei Rohrisolationen wird aber explizit gefordert, dass alle 3 bis 6m eine Probe genommen wird.
Deutschland : VDI
In Deutschland gibt es zur Zeit keine Norm für Asbestexpertisen. Eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema hat im Sommer 2016 ein Diskussionspapier zum Thema Putze und Spachtelmassen veröffentlicht. Es handelt sich dabei nicht um eine Norm, sondern nur um eine Diskussionsgrundlage. Angaben zu andern Materialien werden später in Form einer neuen Norm publiziert werden.
Interpretation
Die zum Teil extremen Unterschiede zur Anzahl Proben zeigt vor allem eins: Wir sind weit entfernt von einheitlichen Standards/Praxis.
Als Spezialist in diesem Gebiet könnte man jetzt schliessen, dass man - da es eh keine einheitliche Meinung gibt - jeder selber entscheiden soll, wie viele Proben sie oder er nimmt.
Da ich selber Personen zu Asbest-Beratern ausbilde, ist dieses Vorgehen für mich aber keine Lösung. Wir können unseren Kursteilnehmern nicht einfach sagen: Nehmt so viele Proben, wie ihr richtig findet. Wir brauchen hier zumindest ein ungefährens Vorgehensschema.
Aber welche Faktoren sollen in Betracht gezogen werden?
Kriterien zum Bestimmen der Anzahl Proben
Risikobasierter Ansatz: Ein erster Punkt, den es zu bestimmen gibt, ist die angestrebte Zuverlässigkeit einer Untersuchung. Oder in andern Worten: Wie viel unbeabsichtigte Asbest-Exponierung der Arbeiter (oder Anwohner, wenn eine Sanierung/Renovation in Anwesenheit der Gebäude-Nutzer durchgeführt wird) erachte ich als akzeptabel. Strebe ich ein Null-Risiko-Ziel an, dann muss ich sehr viele Proben nehmen. Gehe ich davon aus, dass eine Reduktion der Exponierung um 99,9% (oder welche Zahl auch immer) im Vergleich etwa zur Exponierung in den 70er Jahren genügend ist, dann kann ich mich wohl mit einer geringeren Anzahl zufrieden geben.
Homogeneität: Die verschiedenen Normen sind sich einig, dass die Anzahl Proben sehr stark von der Heterogeneität eines Materials abhängen: Je heterogener ein Material ist, desto mehr Proben sind notwendig. Diese Heterogeneität sollte aber irgend wie quantifiziert werden.
Zuverlässigkeit der Laboratorien: Auch in Laboratorien arbeiten nur Menschen. Von einem Labor zu erwarten, dass es null Fehler macht, hat keinen Sinn. Sind die 3 Proben (resp. 2 für festgebundene Materialien), die die EPA seit 1985 als Minimum verlangt, aber noch begründet, oder erreicht ein Labor heute höhere Zuverlässigkeiten als in 1985, was eine Reduktion dieser Zahl zulassen würde?
Asbest-Gehalt: Dies hängt mit der Zuverlässigkeit der Laboratorien zusammen: Bei hohem Asbestgehalt ist der Nachweis einfacher und es geschehen weniger Fehler. Bei geringem Asbestgehalt nimmt die Zuverlässigkeit der Laboranalyse aber ab.
Faserbindung: Aus einem bituminösen Material lösen sich beim Bearbeiten viel weniger Asbestfasern als etwa bei einem gips- oder zementbasierten Material. Somit ist es auch weniger ein Problem, wenn ein solches Material irrtümlicherweise als asbestfrei eingestufft wird.
Weitere: Ziel dieses Artikels ist es nicht hier eine vollständige Lösung zu skizieren, sondern eine Diskussion anzustossen. Entsprechend sind Kommentare und Ergänzungen willkommen.
Der stochastische Ansatz
Aus all diesen Ausführungen wird klar: Einen Ansatz mit einfachen Vorgaben für alle Materialtypen wird es nicht geben. Wenn wir Vorgaben zur Anzahl Proben machen wollen, dann müssen wir differenziert vorgehen (dabei aber immer noch versuchen, praktikabel zu bleiben). Dazu sind Kenntnisse von Fachleuten genau so nötig wie gewisse Daten, insbesondere zum Faserfreisetzungspotential aber auch zum Asbestgehalt, zur Heterogeneität, zur Bindung etc.
Dieser erfahrungs- und datenbasierte Ansatz könnte (oder sollte) aber auch mit einem risikobasierten / statistischen Ansatz ergänzen: Was kann als akzeptables Risiko angesehen werden? Strebe ich ein Null-Risiko an? Und welche Massnahmen erlauben es, dieses Ziel zu erreichen?
Hier ein Beispiel: Die VABS strebt an, dass man asbesthaltige Materialien mit einer Wahrscheinlichkeit 75% findet, auch wenn nur 5% der homogenen Einheiten Asbest enthalten. Betrachten wir ein einzelnes Objekt, z.B. eine Wohnung, die renoviert wird, dann scheint dies ein doch recht niedrig Wert. Folgende Tabelle enthält eine Abschätzung zur Zuverlässigkeit nicht einer einzelnen Expertise, sondern von einer ganzen Reihe von Expertisen.
Beispiel: 100 baugleiche Akustik-Platten (visuell gleich) in 100 verschiedenen Gebäuden.
(Die Zahlen basieren auf informellen Angaben von verschiedenen Laboratorien, dürften also ungefähr realen Grössenordnungen entsprechen. Trotzdem dürfen die Angaben durchaus in Frage gestellt werden).
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Anzahl Proben
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Zuverlässigkeit
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In 1% der Gebäude sind alle 100 Akustikplatten asbesthaltig.
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5 Proben
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Wenn alle Platten asbesthaltig sind, kommt man bereits mit einer einzigen Probe auf eine Zuverlässigkeit von 100%.
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In 5% der Gebäude ist ein Teil der Akustikplatten asbesthaltig und ein Teil nicht. Gehen konservativ davon aus, durchschnittlich nur 10% der Platten Asbest enthalten und 90% nicht.
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5 Proben
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41% (Berechnung gemäss Schema VABS)
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In 94% der Gebäude ist keine einzige Platte asbesthaltig.
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5 Proben
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100%
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Durchschnitt
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97%
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Mit relativ wenig Proben kommt man über viele Expertisen hinweg also bereits zu einem sehr guten Resultat. Betrachtet man nun aber ein einzelnes Objekt (etwa eine bewohnte Wohnung), dann stellt sich die berechtigte Frage, ob die 3% Restrisiko für die Anwohner nicht ein zu hohe Gefährdung darstellen.
Wie weiter
Der Vergleich der verschiedenen Normen/Empfehlungen zeigt die Uneinigkeit der Experten sehr deutlich. Bis in alle Details zu regeln, in welcher Situation wie viele Proben genommen werden müssen, wäre wohl übertrieben. Trotzdem wäre eine gewisse Angleichung auch auf internationaler Ebene wünschenswert. Ein internationaler Austausch, und warum nicht eine Studie zu diesem Thema wären wünschenswert.
Um nochmals auf das eingangs erwähnten Beispiel zurückzukommen: Nach einigen Diskussion, auch mit den Behörden wurde schliesslich strickt nach VABS-Ansatz über 1000 Proben genommen (die Behörden verlangten eigentlich noch mehr). Das interessante daran: Im Vergleich zu vorher mit weniger Proben durchgeführten Untersuchungen erwiesen sich einige vorher durch Analogie als asbesthaltig eingestufte Elemente als nicht asbesthaltig. Die hohe Anzahl Proben hat also dazu geführt, dass die Sanierungskosten reduziert werden konnten. Das Beispiel zeigt, dass alleine aus Kostengründen die Anzahl Proben beschränken zu wollen, nicht unbedingt rentabel ist.
UPDATE 10.5.2017: Anzahl Proben gemäss VABS
Verschiedene in der französischen Schweiz tätige Asbest-Spezialisten haben bestätigt, dass sie das statistische Modell der VABS wie oben beschrieben anwenden. Der Autor des Modells, VIncent Perret hat aber korrigiert: Gerade im Rahmen eines Abbruchs ist es durchaus sinnvoll als "homogene Einheit" etwa ein ganzer Raum anzuschauen und nicht - wie in der Erklärung zum Schema angegeben - jede einzelne Akustikplatte. Ein neue Version der Vorgaben ist in Bearbeitung.