Serpentinit ist ein natürliches Gestein, das manchmal Asbest enthält. Obwohl seit 1990 in der Schweiz keine asbesthaltigen Produkte mehr in den Verkehr gebracht werden dürfen, wurden bis vor wenigen Jahren solche Gesteine noch verbaut ohne dass man sich der Problematik bewusst war. Eine vorgeschlagene Änderung der Chemikalien-Risikoreduktionsverordnung ChemRRV soll die Situation klären. In bestimmten Fällen sollen Ausnahmen vom Verbot aber weiterhin möglich sein, was nicht unumstritten ist.
Seit 1990 dürfen in der Schweiz keine asbesthaltigen Produkte mehr in den Verkehr gebracht werden. Für einige Materialien gab es eine Übergangsfrist bis 1995 und für spezielle Anwendungen erlaubt die Chemikalien-Risikoreduktionsverordnung ChemRRV auch heute noch Ausnahmen.
Obwohl dieses Gesetz wohl implizit auch asbesthaltige Natursteine betraf, wurden diese bis vor einigen Jahren in der Schweiz noch verbaut, ohne dass man sich der Problematik wirklich bewusst war. Natursteine mit Asbest gibt es aber mehr als man gemeinhin denkt. Dazu gehören viele "grüne" metamorphe Gesteine wie der Speckstein, Serpentinite, Ophicalcite oder Amphibolite. (Zu bemerken, dass die weitaus meisten Natursteine nie Asbest enthalten).
Von besonderer Bedeutung ist besonders Serpentinit. Wegen seiner charakteristischen Struktur und Farbe (sehr dunkles, glänzendes grün, fast schwarz, aber je nach Art manchmal auch rötlich), sowie seinen guten Verarbeitungseigenschaften, wurde Serpentinit nicht nur zur Herstellung von Tischplatten in Küchen, Grabsteine und Denkmäler verwendet sondern in grösserem Umfang auch als Wand- und Bodenplatten. Philipp Rück, Mitglied vom Naturstein Verband Schweiz, Geologe und Spezialist für Materialtechnik im Bau geht davon aus, dass es in der Schweiz einige Hundert Gebäude mit grossflächigen Anwendungen von Serpentinit gebe.
Das Bundesamt für Umwelt BAFU schlägt nun vor, die ChemRRV dahingehend zu ändern, dass nicht nur das Inverkehrbringen, sondern auch die Verwendung von asbesthaltigen Materialien, inkl. asbesthaltiger Natursteine verboten wird.
Ein Verbot, das Ausnahmen aus ästhetischen Gründen zulässt
Dieses Verbot ist unumstritten. Das Verbot bringt aber ein Problem: Serpentinit wurde häufig in Prestigebauten, wie Kirchen, Gerichten, oder Kulturzentren, oder für Denkmäler verwendet. Möchte man hier Reparaturarbeiten durchführen, findet man nicht ohne weiteres ein Ersatzmaterial mit gleichen ästhetischen Eigenschaften.
Daher schlägt das BAFU, in Absprache mit dem Bundesamt für Gesundheit BAG und der Suva vor, dass bei punktuellen Reparaturarbeiten Ausnahmen vom Verbot möglich sein sollen, wenn kein asbestfreies Ersatzmaterial gefunden werden kann. Für solche Reparaturarbeiten hat die Suva bereits 2017 ein Merkblatt publiziert, welches genaue Vorgaben für den Gesundheitsschutz enthält.
Bei der vorgeschlagenen Änderung der ChemRRV geht es insgesamt um folgende Punkte (siehe Kapitel 4.5 der Erläuterungen):
- Neu soll ein allgemeines Verbot der Verwendung von asbesthaltigen Zubereitungen und Gegenstände eingeführt werden. Dieses soll auch für asbesthaltige Natursteine gelten. Bislang war nur das Inverkehrbringen verboten. Ob dieses auch für Natursteine galt, war unklar.
- Unter speziellen Bedingungen sollen aber Ausnahmebewilligungen möglich sein. Bedingungen sind:
- Aus optischen Gründen kommt kein asbestfreies Ersatzmaterial in Frage. Gemäss den Erläuterungen zur ChemRRV wird präzisiert, dass dies nur für Natursteine möglich ist, nicht aber für andere Materialien.
- Ausnahmen sind nur für punktuelle Reparatur- und Restaurationsarbeiten in bestehenden Bauten und Baudenkmälern möglich, und nur wenn asbestlose Alternativen nicht verfügbar sind. Grossflächige Anwendungen oder Anwendungen in neuen Gebäuden sind ausgeschlossen.
- Für jede Reparatur- oder Restaurationsarbeit muss beim BAFU ein begründeter Antrag auf eine Ausnahmebewilligung gestellt werden.
- Nach eingehender Prüfung kann das BAFU, im Einvernehmen mit dem BAG, eine fallspezifische Ausnahmebewilligung erteilen.
Exponierung der Bevölkerung und der Arbeiter
Eine Reportage des Westschweizer Fernsehens erweckte nun den Eindruck, dass es sich um eine Wiedereinführung des Asbests durch die Hintertür handelte.
David Vernez, Leiter der Abteilung für Gesundheit am Arbeitsplatz und Umwelt von Unisanté und Professor an der Universität Lausanne gibt sich schockiert über die vorgeschlagene Änderung. Ihm geht es vor allem ums Prinzip. Er sieht in der Änderung einen Widerspruch zu den bisherigen Anstrengungen zum Arbeitnehmerschutz. Für ihn ist die Änderung der ChemRRV ausserdem zu vage formuliert. Er befürchtet, dass die Gesetzesänderung nicht nur auf Serpentinit angewendet werde, sondern dass unter dem Vorwand der Ästhetik auch andere asbesthaltigen Materialien wieder eingeführt werden. Ausserdem ist für ihn die Frage der Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Natursteinplatten nicht geklärt.
Tatsächlich mussten die beiden Schweizer Steinbrüche, in welchen Serpentinit abgebaut wurden, bereits im 2013 geschlossen werden, da die Grenzwerte für Asbest in der Luft nicht eingehalten werden konnten. Gemäss Dr. Christoph Moor, Sektionschef der Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien beim BAFU, müssten Natursteine für solche punktuellen Reparaturarbeiten in Zukunft tatsächlich aus dem Ausland importiert werden. In der Praxis werden sie wohl vor allem aus dem benachbarten Italien kommen. Hier müssen EU-Vorschriften eingehalten werden, aber insbesondere die Kriterien zur Beurteilung des Asbestgehalts von Natursteinen sind unklar, weshalb es durchaus möglich ist, dass ein Produkt im Ausland als "garantiert asbestfrei" verkauft wird, das in der Schweiz gar nicht auf dem Markt kommen dürfte (siehe Artikel zur Diagnostik von Serpentinit).
Es geht aber um sehr geringe Mengen: Gemäss Philipp Rück dürften es pro Jahr nicht mehr als ca. 5 bis 10 Fälle sein. Christoph Moor vom BAFU geht sogar von eher noch weniger Fällen aus.
Im Vergleich zu den Tausenden von Badezimmern und Küchen, die jedes Jahr renoviert werden, und deren Plattenkleber oder Verputz Asbest enthalten kann, geht es also um eine sehr kleine Zahl. Ausserdem ist bei der punktuellen Bearbeitung in der Regel nur von einer sehr niedrigen Asbest-Exposition auszugehen, welche mit den Massnahmen gemäss Suva-Merkblatt 84072 unter dem MAK-Wert bleibt.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass asbesthaltige Serpentinite oder andere asbesthaltige Natursteine auch für die Nutzer eines Gebäudes keine Gefahr darstellen. So lange diese nicht bearbeitet werden, und auch wenn sie Sprünge oder Spalten aufweisen, gibt es keine Gefahr für die Anwohner. Erst bei mechanischem Bearbeiten werden Asbestfasern freigesetzt.
Schlussfolgerung
So lange die Ausnahmen vom Asbest-Verbot wirklich nur restriktiv gewährt werden, kann man tatsächlich davon ausgehen, dass die vorgeschlagene Änderung der ChemRRV nicht zu einer Erhöhung des Gesundheitsrisikos von Arbeitnehmern oder der Bevölkerung führt. Im Vergleich zu den vielen bestehenden Regeln und Vorschriften der Suva, kann man auch annehmen, dass dies nicht zu einer Verwässerung der bisherigen Anforderungen zum Arbeitnehmerschutz führt. Die damit angestossene Debatte dürfte sogar zu einer besseren Sensibilisierung auf die Thematik der asbesthaltigen Natursteine führen.
Bleibt einzig die Sache mit dem Import von asbesthaltigen Natursteinen aus dem Ausland: Auch wenn es sich nur um sehr geringe Mengen handelt, ist es nicht kohärent, wenn der Abbau in Schweiz nicht mehr möglich ist, der gleiche Stein gleich "ennet der Grenze" aber weiter abgebaut und dann in die Schweiz importiert werden darf. Es scheint logischer, bei Rückbauarbeiten anfallende asbesthaltige Natursteine zu sammeln (mit entsprechenden Massnahmen zum Gesundheitsschutz), damit man sie bei punktuellen Reparaturen wieder einsetzen kann. Aber auch dafür bräuchte es eine Ausnahmebewilligung vom OFEV.